Eines der häufigsten Missverständnisse im Hundetraining – „Mein Hund ist stur“

„Also heute will er wirklich gar nicht. Ich glaube, ich habe den stursten Hund den es überhaupt gibt – oder hast du andere Hunde im Training, die genauso stur sind?“

Das ist einer der häufigsten Sätze, die ich im Training von den zweibeinigen Klienten höre, wenn ihr Hund nicht augenblicklich jenes Signal ausführt, das ihm gerade gegeben wurde.

Ich stelle jetzt in den Raum, dass z.B. Chihuahua Cäsar und Schäferhündin Stella sich frühmorgens nicht sagen: „Heute mag ich mal nicht folgen“. Daher wäre die Frage vielleicht eher „Hat mich mein Hund überhaupt verstanden?“ bzw. „Ist er überhaupt dazu in der Lage, meinem Signal (noch) zu folgen?“.

 

Was will der Mensch denn noch von mir?

 Ich verlange auch von keinem 16jährigen Burschen am Ballermann eine hochkomplizierte, mathematische Aufgabe zu lösen, wenn am Strand (nein ich bin kein Sexist, sondern beziehe mich auf den Song von Mickie Krause) 10 halbnackte Friseusen vor ihm rumtanzen. Es wäre wohl auch sinnlos einen Marathonläufer nach knapp 42 Kilometern den Auftrag zu geben, nochmal 20 x 100 Meter zu sprinten. Wären der Jugendliche und der Sportler denn stur, nur weil sie die Aufgaben nicht entsprechend lösen können?

Warum verlangen wir also vom Hund, dass er alle Signale in Sekundenschnelle ausführen muss, sonst wird er als stur bezeichnet und dafür (in den meisten Fällen) noch bestraft?

Man könnte doch auch hinterfragen, ob der Hund nicht ganz einfach schon zu müde ist, weil er schon zu lange am Stück trainiert wird. Eventuell ist der Vierbeiner aber auch ganz einfach zu aufgeregt, weil er zuvor eine Katze, seine Hundefreunde oder ganz einfach eine völlig faszinierende Spur wahrgenommen hat.

 

Die Lösung wäre somit, dem Hund weniger abzuverlangen, entsprechende Pausen einzulegen und später weiterzumachen. Ganz einfach den Druck rausnehmen!

 

Vielfach überfordern wir Menschen unsere Hunde. Diese lösen Situationen auch einfach dadurch, dass sie eine Art Schutzwall errichten und sich entfernen. Wir Zweibeiner kennen das vom Arbeitsplatz, wenn das Telefon schon den ganzen Tag läutet und wir dann einfach mal rausgehen, um 5 Minuten für uns zu sein. Eben, weil es uns für den Moment zu viel geworden ist. Später geht’s dann mit frischer Kraft weiter – aber vielleicht auch mit etwas weniger Intensität. Selbiges sollten wir auch unseren Hunden zugestehen.

Andererseits darf sich auch der Mensch ruhig noch weiter selbst hinterfragen. Habe ich es als HundebesitzerIn geschafft, meine Fellnase entsprechend zu motivieren? Gerade eigenständige und sichere Hunde arbeiten vor allem dann mit ihren BesitzerInnen, weil sie schlichtweg gelernt haben, dass es sich für sie lohnt. Es handelt sich um eine beinharte Kosten-Nutzen-Rechnung, wie ich das noch aus der 2. Klasse HAK in Erinnerung habe.

Keine Kellnerin würde nach einer anstrengenden Schicht noch freiwillige mehrere Stunden draufpacken, wenn sie dafür nicht entsprechend entlohnt würde. Das ist nicht stur, sondern einfach vernünftig. Warum soll also der Hund eine (für ihn) schwierige Übung ausführen, wenn er dafür mit dem Trockenfutter aus dem 5-Kilo-Kübel um 4 Euro 99 entlohnt wird. Etwas Käse, eine Knackwurst oder gekochtes Huhn wäre als Anreiz wohl besser geeignet. Wobei der Hund nicht nur mit Leckerlis belohnt werden muss! Belohnung ist, was der Hund als Belohnung empfindet – und das kann auch ein Spielzeug oder ganz einfach die Motivation durch den Menschen sein, der die Signale nicht missmutig und gelangweilt gibt, weil es am Arbeitsplatz stressig war – sondern freudig und begeistert.

 

Die schönste Belohnung für Emil

Den Hund mit einer attraktiven Belohnung zu motivieren und den Nutzen für ihn zu erhöhen, zahlt sich immer aus!

 Wer seinen Hund genauso behandelt, wie er selbst behandelt werden möchte, der wird diese Zeilen verstehen. Wer sich noch nicht in seinen Hund hineinversetzt hat, sollte dies ruhig einmal probieren. Auch das Mensch-Hund-Verhältnis sollte von Respekt und Verständnis geprägt sein. In diesem Sinne viel Spaß beim artgerechten und gewaltfreien Hundetraining.

 

Robert Kotrc
Ganzheitlich orientierter Hundeverhaltenstrainer
www.hundetraining-willendorf.at

 

Dieser Gastbeitrag von Robert Kotrc erscheint im Rahmen der Blogparade „FAIR statt fies“.

Die BloggerInnen der deutschsprachigen Hundeszene, denen ein fairer, freundlicher und gewaltfreier Umgang mit Hunden am Herzen liegt, veröffentlichen vom 10. Oktober bis zum 13. November 2019 ihre Blogartikel rund um Mensch und Hund.

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